Warum die neue Regierung liefern muss – und was auf dem Spiel steht
Ich habe am 5. Mai einen Gedanken öffentlich gemacht, den viele teilen, aber nur wenige offen aussprechen: Die neue Bundesregierung hat keine Schonfrist. Wer mit der Ansage antritt, die AfD "zu stellen", und nicht wie andere fordert, sie zu verbieten, weckt Erwartungen – Erwartungen, die keine Enttäuschung mehr verkraften.
Ich bin Christoph Hussy, Gründer von Triggerblick, und ich möchte in diesem Beitrag darlegen, warum das Scheitern an diesem Versprechen eine Katastrophe für unsere Demokratie sein würde. Es geht um Glaubwürdigkeit, um demokratische Handlungsfähigkeit und um das Vertrauen in die Institutionen unseres Staates.
Das Versprechen: "Wir stellen die AfD."
Seit Jahren wird in der politischen Mitte und bei den demokratischen Parteien debattiert, wie mit der AfD umzugehen sei. Viele warnen zu Recht vor einem Parteiverbotsverfahren, weil es juristisch höchst anspruchsvoll ist und bei Misserfolg der AfD sogar nützen könnte. Stattdessen betonen Politikerinnen und Politiker ihre Entschlossenheit, der AfD politisch, argumentativ und institutionell "entgegenzutreten" oder sie gar zu "stellen".
Dieses Versprechen wurde in den vergangenen Monaten immer lauter. Besonders nach den Correctiv-Recherchen über ein Geheimtreffen in Potsdam, bei dem Rechtsextreme gemeinsam mit AfD-Vertretern über Deportationspläne gesprochen haben sollen (Correctiv.org, 10.01.2024), entstand eine Welle des Widerstands. Hunderttausende Menschen demonstrierten bundesweit gegen Rechts. Die Demokratie hatte wieder eine Stimme.
Doch eine Stimme ist nicht genug. Sie braucht auch eine Hand, die handelt.
Der Begriff "stellen" ist ein Versprechen – und eine Verpflichtung
"Stellen" ist ein aktives Wort. Es bedeutet: Wir zeigen den Menschen, dass diese Partei nicht für Lösungen steht. Dass sie weder integrations- noch regierungsfähig ist. Dass sie unsere Grundwerte untergräbt und nicht verdient, als demokratische Kraft anerkannt zu werden.
"Stellen" bedeutet auch: Institutionen wie der Verfassungsschutz, die Justiz, der Bundestag müssen wachsam sein und handeln, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung angegriffen wird. Und das passiert laufend. Der thüringische AfD-Chef Höcke wird wegen NS-Rhetorik angeklagt, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Partei nun sogar als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft (BfV, Pressemitteilung 02.05.2025).
Das alles sind Fakten, die politisches Handeln erfordern. Wer diese Tatsachen benennt und gleichzeitig regiert, darf nicht bei symbolischen Gesten stehen bleiben.
Die Gefahr der Enttäuschung: Warum Nichthandeln fatal wäre
Ein Versprechen zu brechen, ist nie gut. Ein Versprechen an die Demokratie zu brechen, ist fatal.
Wenn diese Regierung es nicht schafft, die AfD deutlich in die Schranken zu weisen, dann wird die demokratische Mitte weiter erodieren. Die Frustration, die sich heute gegen die AfD richtet, könnte morgen der Demokratie selbst gelten: "Ihr habt groß geredet, aber nichts getan."
Menschen haben sich in den letzten Monaten mit Mut und Haltung auf die Straße gestellt. Sie haben Aufkleber geklebt, Gespräche geführt, Haltung gezeigt. Wenn sie jetzt das Gefühl bekommen, ihre Sorgen würden von der Politik nicht ernst genommen oder nur für den Wahlkampf instrumentalisiert, wird das nicht nur zur politischen Verdrossenheit führen. Es wird auch radikalen Kräften in die Hände spielen.
Was "Liefern" konkret heißt
Was erwarte ich, was erwarten viele andere von der neuen Regierung? Hier ein paar konkrete Punkte:
Konsequente Anwendung des Verfassungsschutzrechts: Die Beobachtung der AfD durch das BfV muss mit Nachdruck fortgesetzt und juristisch begleitet werden. Gerichtsfeste Einstufungen, transparente Verfahren, kein Rückzug aus Angst vor politischen Angriffen.
Konsequente Rechtsverfolgung: Wenn AfD-Politiker Gesetze brechen, Hetze verbreiten oder nationalsozialistische Parolen benutzen, muss die Justiz handeln. Hier darf es keine falsche Zurückhaltung geben, auch nicht aus politischer Neutralität.
Politische Auseinandersetzung: Demokratische Parteien müssen endlich aufhören, sich gegenseitig zu schwächen. Wer der AfD etwas entgegensetzen will, muss klare politische Konzepte liefern und der Verunsicherung in der Bevölkerung mit Zuversicht, nicht mit Panik begegnen.
Stärkung der politischen Bildung: Es braucht gezielte Investitionen in politische Aufklärung, Medienkompetenz und demokratische Kultur, vor allem an Schulen und in strukturschwachen Regionen.
Die Rolle der Zivilgesellschaft
Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass Politik nicht alles leisten kann. Aber sie muss den Rahmen setzen. Die Zivilgesellschaft hat in den letzten Monaten gezeigt, dass sie bereit ist zu handeln. Doch wenn die Regierung diese Energie nicht aufnimmt und stärkt, sondern sie verpuffen lässt, wird sie eine historische Chance verspielen.
Initiativen wie "Zusammen gegen Rechts", das Netzwerk "Aufstehen gegen Rassismus" oder lokale Bündnisse leisten Großartiges. Aber sie brauchen politische Rückendeckung. Sonst wird aus dem gesellschaftlichen Aufbruch eine deprimierende Episode.
Demokratie braucht Mut – und Ergebnisse
Wer sich mit der AfD politisch messen will, muss bereit sein, Konflikte zu führen. Aber nicht auf dem Niveau der AfD, sondern mit Haltung, Fakten und Konsequenz. Demokratie ist keine Talkshow, sondern eine Handlungsform. Wer Verantwortung trägt, muss handeln. Wer Vertrauen gewinnen will, muss liefern.
Wenn das nicht geschieht, ist nicht nur ein Wahlversprechen gebrochen. Es ist ein Schaden an der Demokratie angerichtet, der nur schwer wieder zu reparieren sein wird.
Schluss
Ich werde weiterhin meinen Beitrag leisten: mit Triggerblick, mit Texten wie diesem, mit Gesprächen, Vorträgen und Engagement. Aber ich erwarte, dass die, die jetzt an der Macht sind, es mir und uns allen gleich tun: Haltung zeigen, handeln, liefern.
Denn sonst wird das Versprechen, die AfD zu stellen, zur größten Enttäuschung der deutschen Demokratie seit Jahrzehnten.
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